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Manchmal wird einem nach dem Lesen eines Urteils richtig warm ums Herz. All
die Zweifel, dass man angesichts widerstreitender Meinungen vieler Gerichte
mit seiner Auffassung doch falsch liegen könnte, schwinden in einem solchen
Fall. Ich war seit vielen Jahren und bin nach wie vor ein großer Verfechter
von Urteilen, die auf einer objektiven Beweisgrundlage beruhen und nicht
lediglich auf sogenannten „Urteilsheuristiken“.

Nach dem OLG Frankfurt hat sich jetzt – soweit ersichtlich – mit dem
Berliner Kammergericht ein zweiter Zivilsenat für die Nullhypothese
ausgesprochen.

Man kann dort folgende bemerkenswerte Sätze lesen:

„Die Aussage eines Zeugen darf von einem Gericht nicht unkritisch übernommen
werden, denn kein Beweismittel ist so anfällig gegen Verfälschung (durch
Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Reproduktionsmängel, aber auch bewusste oder
unbewusste Parteilichkeit) wie ein Zeuge (vgl. z.B. Zöller/Greger, 32.
Aufl., vor § 373 ZPO Rn. 14). Gerade bei schnell ablaufenden Vorgängen wie
Verkehrsunfällen bestehen zwischen Wahrnehmung und Wiedergabe der Situation
zahlreiche mögliche Fehlerquellen. Deshalb kann bei der Würdigung von
Zeugenaussagen nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der
bekundete Sachverhalt mit der Realität übereinstimmt. Vielmehr ist bei der
Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage von der sog. Nullhypothese
auszugehen, also der Annahme, dass die Aussage objektiv unwahr ist (vgl.
z.B. BGH NJW 1999, 2746 für Glaubhaftigkeitsgutachten). Es sind daher
Anhaltspunkte zu finden, die für die Richtigkeit der Zeugenaussage sprechen.
Erst wenn und soweit der Richter davon überzeugt ist, dass der Zeuge
persönlich glaubwürdig und seine Aussage glaubhaft ist, darf er die
bekundeten Tatsachen seiner Entscheidung zu Grunde legen (vgl. z.B. BGH NJW
1991, 3284; Zöller/Greger a.a.O.). Dass für die Bewertung der Erklärungen
einer Partei keine geringeren Anforderungen gelten können, liegt auf der
Hand.


Hier kommt hinzu, dass beide Zeugen jeweils Beifahrer eines der
Unfallbeteiligten gewesen sind, ihre Aussagen also – z.B. wegen einer
möglichen bewussten oder unbewussten Beeinflussung oder Solidarisierung,
möglichen Verfälschungen der Erinnerung durch Erörterung des Geschehens
untereinander – besonders kritisch zu würdigen sind.“
(KG Urt. v. 2.9.2019 – 25 U 163/17, BeckRS 2019, 42352 Rn. 8, 9).

So ist es! Besser kann man es kaum ausdrücken. Mögen sich dies alle
Richterinnen, Richter, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ins Stammbuch
schreiben, es sei denn, sie sind mit Ergebnissen zufrieden, die man auch
durch Würfeln hätte erreichen können.

Bildquelle: pixaby