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Eine gewisse Verunsicherung besteht immer mal wieder bei der Abwägung der Verursachungsanteile nach einem Verkehrsunfall (§§ 17, 18 StVG). Bei den Standardsituationen haben sich gewisse Regelquoten eingebürgert, die entsprechend des konkreten Falles nach der einen oder anderen Seite variiert werden. Interessanter sind Fälle, die nicht so häufig auftreten, wie der vom OLG Saarbrücken entschiedene Fall zeigt (OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.11.2017 – 4 U 100/16 [LG Saarbrücken], BeckRS 2017, 135315 = r + s 2018, 95 = NJW-RR 2018, 347 = BeckRS 2017, 135315).

Hier hatte das Landgericht Saarbrücken eine Haftung von 50:50 angenommen. Beide Parteien gingen in Berufung. Das Oberlandesgericht hat jedoch nur die eine Berufung als begründet angesehen und kam sogar zu einer 100-prozentigen Haftung.

Interessant ist dabei, dass das Oberlandesgericht nicht nur Verstöße gegen die StVO in die Haftungsabwägung eingestellt hatte, sondern auch andere Umstände bewertete. Die Klägerseite hatte innerorts versucht, ein Fahrzeuggespann, bestehend aus einem Traktor und einem Anhänger zu überholen. Im Überholvorgang scherte das überholte Gespann jedoch nach links aus, weil es einem am rechten Fahrbahn geparkten PKW ausweichen musste.

Das Oberlandesgericht Saabrücken hat zunächst auf folgende Umstände hingewiesen, die die Haftungsabwägung zulasten des Traktors beeinflussen:

„Im Streitfall ist danach von einer erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs schon deshalb auszugehen, weil dieses – wie an der Unfallstelle polizeilich festgestellt und von der Beklagtenseite auch eingeräumt wurde – nicht über ordnungsgemäß funktionsfähige Fahrtrichtungsanzeiger verfügte.“

Weiter heißt es:

„Außerdem liegt ein die Betriebsgefahr weiter erhöhender Umstand darin, dass es sich bei dem Beklagtenfahrzeug um ein Gespann handelte, das naturgemäß schwerer zu überblicken war und verlangsamte Fahrvorgänge aufwies … Das aus einem Traktor des Typs Eicher Mammut II-74 sowie einem 2-achsigen Anhänger bestehende Gespann nahm – wie die in der Ermittlungsakte enthaltenen Lichtbilder anschaulich zeigen – auf der Straße erheblichen Raum ein. Nach den sachverständigen Feststellungen bemaß sich allein der Anhänger in der Länge auf 4 m, in der Breite auf 1,8 m und in der Höhe auf 1,34 m; auch die Zugmaschine ist in ihrer Dimensionen insbesondere erheblich breiter und höher als ein durchschnittlicher Personenkraftwagen. Darin lag ein gegenüber dem Klägerfahrzeug erheblich höheres Schadenspotenzial, das sich im Streitfall auch nachweislich auf das Unfallgeschehen ausgewirkt hat. ..“

Schließlich hat das Oberlandesgericht auch noch einen Verstoß des Traktorfahrers gegen § 6 StVO angenommen. Bei dieser Vorschrift hat derjenige, der an einem Hindernis, wozu auch ein geparktes Fahrzeug gehört, vorbeifährt, darauf zu achten, dass der nachfolgende Verkehr nicht behindert wird.

Dagegen nahm das OLG keinen Verstoß des Pkw-Fahrers gegen das Verbot, bei unklarer Verkehrslage zu überholen, an (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Insbesondere sei nicht feststellbar, dass das ausscherende Traktorgespann rechtzeitig geblinkt habe. Insoweit enthält das Urteil auch interessante Ausführungen zu den einzelnen Sorgfaltspflichten beim Vorbeifahren und Überholen. Interessant ist jedoch der mitunter übersehene Ansatz, dass eben auch verschuldensunabhängige Umstände, wie z.B. die Eigenart des geführten Fahrzeugs, in die Haftungsabwägung einfließen können. Dazu zählen auch nicht ordnungsgemäß funktionierende Einrichtungen, wie z.B. Fahrtrichtungsanzeiger.

Weiterführende Literatur:

MDR 2008, 360 (Heft 07)
Die Abwägung der Verursachungsbeiträge nach einem Kfz-Unfall
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Thomas Schauseil
Download des Aufsatzes (mit freundlicher Genehmigung des Verlages Otto Schmidt, Köln) Aufsatz_Schauseil_MDR_08_360

 

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