Erfahrungsgemäß verstehen Mandanten die Haftung aus der Betriebsgefahr ihres
Kraftfahrzeugs nicht. Wieso muss ich mir jetzt bei einem Unfall eine
Mithaftung anrechnen lassen? Ich habe doch gar nichts Falsches getan! DER
ANDERE ist schuld. Der hat vor dem Abbiegen nicht geblinkt. Daher habe ich
überholt. Wieso bekomme ich jetzt nicht 100 % meines Schadens ersetzt???
Zugegebenermaßen ist das schwer zu vermitteln. Zu tief ist im Bewusstsein
der Menschen verankert, dass man nur dann für etwas geradestehen muss, wenn
man was falsch gemacht hat.
Im Straßenverkehr ist das aber anders. Man kann alles richtig gemacht haben
und haftet trotzdem!
Ein Beispiel:
Auf einer schmalen Straße begegnen sich zwei Kraftfahrzeuge. Es kommt zu
einer seitlichen Kollision. Im Nachhinein ist nicht mehr aufklärbar, wer in
wessen Fahrspur geraten ist. Es gibt keine Zeugen. Eine Unfallanalyse wäre
nicht erfolgversprechend, weil es keinerlei verwertbare Spuren hierfür gibt.
Oder:
Ein Fahrzeugführer behauptet, der andere sei beim Stopp an einer Ampel
aufgefahren. Der jedoch behauptet, das gegnerische Fahrzeug sei
zurückgerollt/zurückgefahren. Was ist nun richtig?
Der Unfallhergang kann – wie so oft – nicht mehr aufgeklärt werden.
Würde man jetzt eine reine verschuldensabhängige Haftung zugrunde legen,
würde keine der beiden Seiten für den Schaden der jeweils anderen Seite
haften. Man hat ja nichts falsch gemacht. Zumindest kann der Andere nichts
beweisen und was nicht bewiesen werden kann, darf bei einer gerichtlichen
Entscheidung nicht berücksichtigt werden! Soweit, so gut.
Jeder müsste danach einen Schaden komplett allein tragen!
Tatsächlich besteht aber eine Haftung von 50:50.
Dies liegt an der sogenannten Betriebsgefahr bzw. an der vom Gesetzgeber
postulierten Gefährdungshaftung des § 7 Abs. 1 StVG. Danach haftet der
Halter eines Kraftfahrzeugs schon dann, wenn er es in Betrieb nimmt!
Ein Kraftfahrzeug ist ein gefährliches Ding. Man kann eine Menge schlimme
Sachen damit machen, z.B. Menschen verletzen oder gar töten. Aus diesem
Grunde hat der Gesetzgeber eine Haftung vorgesehen, die nicht an das
Verschulden des Fahrers bzw. Halters anknüpft. Es wird vielmehr angenommen,
dass der Halter eines Kraftfahrzeugs, der dieses lediglich in Betrieb
genommen hat, schon deswegen haftet. Das gilt natürlich auch für den
Unfallgegner. Wenn jetzt eine Abwägung der beiderseitigen
Verursachungsbeiträge vorgenommen werden muss (§ 17 StVG), kann es
passieren, dass beide Halter/Fahrer jeweils zur Hälfte für einen Unfall
geradestehen müssen, nicht weil sie etwas falsch gemacht, also verschuldet
haben, sondern weil sie ein gefährliches Ding in den Verkehr gebracht haben.
Ähnliches gilt für den Betreiber einer Straßenbahn, eines Flugzeugs oder
eines Kernkraftwerks. Auch bei der Tierhalterhaftung (§ 833 BGB) gibt es
einen ähnlichen Effekt.
Weil das so ist, verlangt der Gesetzgeber bei einem Kfz auch eine
Haftpflichtversicherung, damit die schlimmsten Folgen abgemildert sind und
derjenige, der das Fahrzeug im Verkehr bewegt, den Schaden des anderen nicht
selbst tragen muss.
Gerade dann, wenn es schwierig ist aufzuklären, wen ein Verschulden an dem
Unfall trifft, greift also diese Gefährdungshaftung. Kann zum Verschulden
eines der Parteien nichts festgestellt werden, bleibt es häufig bei einer
Haftungsteilung von jeweils 50 %. Dies ist für manche Mandanten schwer
verständlich, aber eine richtige Entscheidung des Gesetzgebers.
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Hilfe bei Familien-/Erbrecht sowie Miet-und Arbeitsrecht: Birgit Bauer
Hilfe bei Arzthaftungs- und Medizinrecht: Antje Reinhard-Gilmour