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Einen interessanten Fall hatte das OLG Schleswig zu entscheiden (OLG Schleswig, Urteil vom 04.01.2018 – 7 U 146/15 [LG Kiel], BeckRS 2018, 1111).

Die Klägerin, eine Aushilfs-Taxifahrerin, kollidierte mit einem ihr entgegen schleudernden PKW, der bei der Beklagten versichert war und dessen Fahrer infolge des Unfalls verstarb. Dabei wurde gutachterlich festgestellt, dass Letzterer mit einer Geschwindigkeit von mindestens 95 km/h eine leichte Rechtskurve befuhr, in der es eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h gab. Letztliche Ursache des Schleuderns des Beklagtenfahrzeugs war die Reaktion seines Fahrers auf ein das klägerische Fahrzeug überholendes drittes Fahrzeug. Jenes befand sich unstreitig auf „Kollisionskurs“ mit dem Beklagtenfahrzeug, überholte also gerade die Klägerin auf der linken Fahrspur und befuhr demzufolge die Fahrspur des entgegen kommenden Beklagtenfahrzeugs.

Das Landgericht hatte nach durchgeführter Beweisaufnahme die Klage abgewiesen, weil es davon ausging, dass der Unfall sowohl für die Klägerin, als auch für den verstorbenen Versicherungsnehmer der Beklagten unabwendbar war (§ 17 Abs. 3 StVG). Nach dieser Vorschrift besteht keine Haftung aus der Betriebsgefahr eines Fahrzeugs, wenn der Unfall für den Fahrer/Halter unabwendbar gewesen ist.

Die eingelegte Berufung der bei dem Unfall schwer verletzten Klägerin hatte Erfolg. Nach ergänzender sachverständiger Begutachtung ging das OLG Schleswig davon aus, dass zwar der Unfall für die Klägerin unabwendbar war, nicht jedoch für den Versicherungsnehmer der Beklagten.

Das OLG führte aus:

„Zwar bedeutet Unabwendbarkeit nicht absolute Unvermeidbarkeit eines Unfalles; aber derjenige, der sich auf Unabwendbarkeit beruft, muss jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtet haben, wobei letztlich nicht nur zu fragen ist, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat, sondern es ist auch zu prüfen, ob der Idealfahrer überhaupt in diese Gefahrenlage gekommen wäre. Denn er berücksichtigt auch Erkenntnisse, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Dabei trägt die Beweislast für die Unabwendbarkeit im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG derjenige, der sich darauf beruft.“

Und weiter:

„Zwar schließt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein reflexhaftes Fahrverhalten – insbesondere ein Ausweichen – die Unabwendbarkeit nicht aus, da ein solches Ausweichen unter Umständen nicht als „Fahrfehler“ gewertet werden kann …  Aber auch ein sonstiges Fehlverhalten darf sich nicht unfallkausal ausgewirkt haben. Die Prüfung der Unabwendbarkeit i. S. v. § 17 Abs. 3 StVG darf sich nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre, denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwicklende Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält …“

Wenn man diese Maßstäbe, die nicht neu sind, aber in der täglichen Praxis doch gern einmal übersehen werden, anlegt, war der Unfall für die Klägerin nicht mehr zu vermeiden. Diese konnte gegen das ihr entgegen schleudernde Fahrzeug nichts mehr tun. Ein Fahrfehler war der Klägerin nicht zur Last zu legen. Dagegen blieb nach der durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme offen, ob der Unfall durch den Versicherungsnehmer der Beklagten nicht doch hätte verhindert werden können, wenn er die am Unfallort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h eingehalten hätte. Diese Unaufklärbarkeit ging hier zulasten der Beklagten mit der Folge, dass sich nur die Klägerin auf die Unabwendbarkeit berufen konnte und deren Klage damit vollumfänglich Erfolg hatte.

Für die tägliche Praxis des Verkehrsrechtsjuristen bleibt also festzuhalten, dass nicht nur geprüft werden darf, ob sich ein Fahrer in der konkreten Situation ideal verhalten hatte, sondern auch zu betrachten ist, ob ein sogenannter „Idealfahrer“, auf den § 17 Abs. 3 StVG abstellt, sich überhaupt erst in eine solche Situation gebracht hätte, in der er dann nicht mehr unfallvermeidend hatte reagieren können.

Foto: Pixabay