Immer wieder habe ich mich vor Gericht mit der Tatsache zu befassen, dass durch Geschädigte anlässlich eines unverschuldeten Unfalls quasi nebenbei („bei Gelegenheit“) Vorschäden an ihrem Fahrzeug abgerechnet werden, mit denen der Unfallgegner natürlich nichts zu tun hat und für die er auch nicht aufzukommen hat. Die Versuchung liegt offenbar nahe, solche Schäden beim gegnerischen Kraftfahrthaftpflichtversicherer geltend zu machen in der Hoffnung, es werde schon nicht herauskommen. Hiervor sei nachhaltig gewarnt!
Die Versicherer haben mittlerweile ein Warnsystem installiert, mit dem sie relativ leicht herausfinden können, ob die Eigentümer unfallbeteiligter Fahrzeuge bereits frühere Unfallschäden bei einem der Versicherungsunternehmen liquidiert hatten. Außerdem besitzen die Versicherer genügend technischen Verstand, gegebenenfalls mit Unterstützung interner oder externer Sachverständiger, um herauszufinden, ob der aktuelle Unfall zu den entstandenen Schadensmustern passt oder nicht. Häufig kommt auch bei einem gerichtlichen Sachverständigengutachten heraus, dass ein bestimmter Teil der angeblich bei einem Verkehrsunfall entstandenen Schäden gar nicht durch das gegnerische Fahrzeug verursacht worden sein kann. In einem solchen Fall hat der Geschädigte schlechte Karten, wenn er nicht exakt über den Vorschaden aufklärt, sowohl hinsichtlich der Entstehung, als auch des Schadensumfangs. Stellt der Geschädigte Vorschäden in Abrede oder erteilt er keine Auskunft, läuft er Gefahr, dass in einem solchen Fall die Klage vollumfänglich abgewiesen wird, selbst wenn der Unfallgegner dem Grunde nach für den Schaden aufzukommen hatte. Ist aber ein aktueller Schaden von einem Altschaden nicht abzugrenzen, gibt es nach herrschender Rechtsprechung auch keinen Mindestschadenersatz (vgl. etwa: OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.03.2017 – I-1 U 31/16 (LG Kleve), BeckRS 2017, 104786 = MDR 2017, 514 = NJW-Spezial 2017, 299 = r+s 2017, 435).
Dem folgt auch die Thüringer Rechtsprechung: LG Gera Urt. v. 14.06.2006, 1 S 556/05; LG Gera Beschl. v. 04.05.06, 1 S 585/05; LG Gera Urt. v. 31.08.2005, 1 S 452/04; LG Erfurt Urt. v. 17.03.2000, 7 O 742/99; LG Mühlhausen Urt. v. 15.5.2012 – 2 S 6/12; LG Mühlhausen Urt. v. 11.12.2001, 2 S 304/01; AG Erfurt SP 2001, 347; AG Eisenach Urt. v. 17.09.2003, 58 C 1703/01; AG Weimar Urt. v. 21.06.06, 5 C 670/02; AG Weimar Urt. v. 01.09.2000, 10 C 547/99; AG Arnstadt Urt. v. 26.09.2000, 21 C 1023/98; AG Suhl Urt. v. 10.01.2001, 1 C 1573/98; AG Weimar Urt. v. 20.5.2016 – 5 C 275/14; AG Weimar Urt. v. 9.11.2016 – 5 C 127/14).
Eine umfangreichere juristische Abhandlung des Themas hatte ich bereits in der MDR 2009, 425 veröffentlicht.
Also, mein Tipp an alle Geschädigte: Ehrlich „fährt“ hier am längsten! Sonst kann es ein ganz böses Erwachen am Steuer des eigenen Fahrzeugs geben!